Neubeginn nach dem 1. Weltkrieg
Die erste Eintragung nach dem sinnlosen Krieg stammt vom 2. Februar 1919. Karl Zieger, der schon seit 1908 als erster Vorstand den Verein leitete, begann zusammen mit Oskar Rupp als zweitem Vorstand die Fidelia neu zu organisieren. Bereits ein Jahr später sind es 93 aktive Sänger und 67 passive Mitglieder. Die Berichte über die Generalversammlungen in den folgenden 20 Jahren weisen immer wieder Mitgliederzahlen in der gleichen Größenordnung auf. Es darf ohne Übertreibung gesagt werden, dass der Männergesangverein Fidelia sich als einer der bedeutendsten Vereine in der Geschichte Oberhausens darstellt. Dies beweist auch das viele hundert Seiten umfassende handschriftlich geführte Protokollbuch, in dem bis zum Jahre 1926 auch die Einnahmen und Ausgaben des Vereins erwähnt werden.
Finanzen
Der monatliche Mitgliederbeitrag betrug zur Zeit der Gründung 10 Pfennig. Im Jahre 1903 wurde auf 15 Pfennig erhöht. Die Aufnahmegebühr war 50 Pfennig, später 1 Mark.
Man muss sich heute wundern, wie die Vorstandschaft, die anfangs noch nicht einmal mit 100 Mark Jahreseinnahmen rechnen konnte, es fertig brachte, den laufenden Verpflichtungen nachzukommen; Der Dirigent bekam für eine Gesangsstunde 2 Mark, ab 1910 2,50 Mark, und kurz vor Beginn des 1. Weltkrieges 3,50 Mark. Dazu kamen die Ausgaben für den Vereinsdiener, für Noten, für die vierteljährlichen Veranstaltungen und „für Fuhrlöhne" bei der Teilnahme an Sängerfesten in der näheren und weiteren Umgebung. Die erste Vereinsfahne im Werte von 380 Mark wurde in der Hauptsache durch Spenden finanziert. An weiteren Einnahmen werden erwähnt: Beträge für das Singen bei Hochzeiten und Beerdigungen, Eintrittsgelder von Veranstaltungen, Reinerlöse vom „Glückshafen", von der Christbaumversteigerung, Mehrerlöse beim Verkauf von Fastnachtskappen und Vereinsabzeichen, Bußgelder für unentschuldigtes Fehlen und Zugspätkommen bei den Proben.
Im Jahre 1919 wurde der Monatsbeitrag auf 30 Pfennig festgesetzt. Außerdem verpflichteten sich die Mitglieder, zur Stärkung der Vereinskasse je 2 Mark beizusteuern. Die Eintrittsgebühr betrug ebenfalls 2 Mark. Aber bereits im Jahre 1921 wurde der Monatsbeitrag auf 1 Mark festgesetzt, der Dirigent bekam pro Singstunde 20 Mark (ab 1922 40 Mark), der Vereinsdiener 100 Mark im Jahr.
Das Protokoll der Generalversammlung vom 11. 1. 1923 zeigt deutlich den Geldwertverfall, unter dem die Menschen in Deutschland zu leiden hatten: Der Monatsbeitrag wurde auf 70 M. erhöht, die Eintrittsgebühr auf 100 Mark. Im Protokoll vom 19. Mai 1923 heißt es: „Die Bezahlung des Dirigenten erfolgt durch Natura, je Singstunde 6 Pfund Korn, 6 Pfund Weizen und 15 Pfund Kartoffeln. Die Eintrittsgebühr ist 100.000 Mark." Und bei der Generalversammlung am 30. 12. 1923 heißt es: „Durch die Innation konnte kein genauer Abschluß gemacht werden, da das Geld, bestehend aus einigen Millionen, keinen Wert mehr besitzt." Einige Wochen später beschloss man zur Stärkung der Vereinskasse das Theaterstück „Kerker und Freiheit" zu spielen. Von nun an ging es finanziell wieder bergauf.
Die erfolgreichen 20er Jahre
Aber auch von der Leistungsfähigkeit des Chors her gesehen waren die zwanziger Jahre eine Zeit des Aufbaus und der Blüte des Vereins. Unter der Vorstandschaft von Jakob Heim (1922—1933) und unter der Stabführung von Hauptlehrer Fischer erlebte die Fidelia einen ungeahnten Aufschwung. Überall, wo die 80 aktiven Fidelianer auftraten, ernteten sie Beifall, wohlverdienten Applaus und erste Preise.
Man kann sich heute kaum noch eine Vorstellung machen von dieser Woge der Begeisterung für den Gesang. Um den Auswüchsen zu steuern, wurde in einer Verwaltungssitzung vom 14. Mai 1923 folgender Beschluss gefasst:
„Das Singen von Vereinsliedern auf der Straße und im Wirtshaus wird verboten."
Aus Liebe zum Chorgesang wurde schließlich im Jahre 1925 der „Sängerbund Oberhausen" gegründet, zu dem man - wie aus den Akten hervorgeht - bis zu seinem zehnjährigen Stiftungsfest kaum freundschaftliche Beziehungen unterhielt. Aber vielleicht war gerade das Vorhandensein eines zweiten Männergesangvereins in Oberhausen für die Fidelianer ein Ansporn zu folgenden einmaligen Leistungen:
- 1927 - 1a-Preis beim Preissingen in Reilingen
- 1928 - 1a-Preis beim Preissingen in Eggenstein, Tagesbestleistung mit dem Festchor „Der Nöck"
- 1929 - Tageszweite beim Wertungssingen des MGV Wiesental mit den Chören „Abendläuten" und „Moorgrab"
- 1930 - 1a-Preis beim Gesangswettstreit des MGV „Nähmaschinenbauer Durlach (Tagesbestleistung mit Dirigentenpreis! Mit 80 Sängern). Außer den üblichen Pokalen und Medaillen kamen die Fidelianer mit einer Nähmaschine als Preis nach Hause. Die Begeisterung „über den großen Sieg" war so überwältigend, dass man am nächsten Tag im Vereinslokal „Zum Schiff" eine Nachfeier veranstaltete, an der sich halb Oberhausen beteiligte.
- 1931 - 1a-Preis beim Wettsingen des MGV „Deutsche Einheit" Rheinhausen. Der Chor trat in der Kunstklasse gegen schwerste Konkurrenz an.
- 1932 - Tageszweite beim Sängerwettstreit des MGV „Cäcilia" Sandhausen mit dem „Wiegenlied" von Brahms bei Beteiligung hervorragender Vereine wie z. B. „Eintracht Walldorf" und MGV Kirchheim/Heidelberg.
Die Fidelia-Familie
Bei all den großartigen Erfolgen vergaß die Verwaltung der Fidelia nie, auch etwas für die Geselligkeit und den persönlichen Kontakt unter den Mitgliedern zu tun. Außer den alljährlichen Familienabenden, den Vereinsbällen, den Kappenabenden und den Weihnachtsfeiern sind den Mitgliedern noch in bester Erinnerung die Gartenfeste, die Strandfeste am Neurhein (bei der Waldfähre) und schließlich das Preiskegeln und das Preisschießen.
Theater- und Singspiele
Großen Beifall ernteten auch die Theaterspieler für ihre Leistungen. Von der Aufführung des Stückes „Preziosa" im Jahre 1929, einer Oper in 3 Aufzügen mit Orchesterbegleitung, wird heute noch gesprochen. Im Jahre 1933 trat die Fidelia an die Öffentlichkeit mit dem Singspiel „Glockentürmers Töchterlein" im Jahre 1934 mit dem Schauspiel „Anita, das Findelkind" und im Jahre 1935 mit dem Stück „S' Heimatbrünnle", einem Singspiel in 5 Aufzügen mit Orchesterbegleitung. Die Theatertradition der Fidelia erlebte nach dem zweiten Weltkrieg eine neue Zeit der Blüte und wurde noch bis in die sechziger Jahre hinein gepflegt.
Notzeiten und politische Zeitenwende um 1930
Im Januar 1927 wurde der MGV Fidelia Mitglied im Badischen Sängerbund, und im Herbst desselben Jahres begannen die Vorbereitungen für das 50jährige Stiftungsfest, das vom 31. Juni bis 2. Juli 1928 in feierlicher Weise begangen wurde. Aber bald darauf kam die Zeit der Arbeitslosigkeit und damit die Zeit der persönlichen Sorge jedes Sängers um den Lebensunterhalt seiner Familie. Und trotzdem hielten die Fidelianer zusammen, sie fanden Trost bei den Sängerkameraden und im Chorlied.
Doch es sollte bald anders werden: Das Jahr 1933 kam, und am 20. Mai war eine außerordentliche Generalversammlung anberaumt, weil der langjährige 1. Vorstand Jakob Heim aus Gesundheitsgründen sein Amt zur Verfügung stellte. Die Neuwahlen brachten folgendes Ergebnis:
1. Vorstand: | Gustav Machauer |
2. Vorstand: | Oskar Blattner |
Schriftführer: | Wilhelm Maier |
Die übrigen Mitglieder der Verwaltung verblieben in ihren Ämtern. Der scheidende 1. Vorstand, Herr Heim, der 11 Jahre lang an der Spitze der Fidelia gestanden hatte, wurde zum Ehrenvorsitzenden ernannt.
Laut Protokolleintrag wurde den Sängern in dieser Generalversammlung erstmalig ein Vortrag gehalten über „Gleichschaltung aller Vereine im Deutschen Reich". Die Sänger meinten, durch die Pflege des deutschen Liedgutes würden sie ihre nationale Gesinnung zu Genüge dokumentieren, und als äußeres Zeichen dafür wurde der Vereinsfahne eine schwarz-weiß-rote Schärpe gestiftet. Ansonsten blieb zunächst alles beim alten, und man hatte vorerst seine Ruhe. Lediglich einige Aufzeichnungen lassen vermuten, dass durch die Politik eine gewisse Unruhe in die Reihen der Sänger getragen wurde.
In diese Zeit fällt auch die Versetzung des erfolgreichen Dirigenten Fischer an die Schule nach Bad Peterstal. Die für den Verein so überaus fruchtbare Ära Heim/Fischer war zu Ende.
„Gleichschaltung"
Der Januar 1934 brachte „Neuwahlen mit Gleichschaltung": Der wiedergewählte 1. Vorstand hieß ab jetzt „Vereinsführer", und im Protokoll vom 13. Januar steht: „Nach Anerkennung durch den anwesenden Ortsgruppenleiter der NSDAP ernannte er sich seine Mitarbeiter".
Rein äußerlich wurde zwar das demokratische Prinzip in der Vereinsführung durch die Gleichschaltung beseitigt, aber die Sängerkameraden unter sich sorgten dafür, dass der alte Sängergeist der Fidelia am Leben blieb. Denn im Protokoll vom 4. Dezember 1934 wird „von tiefliegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vereinsführer und der politischen Führung in unserer Gemeinde" berichtet, aber ohne Nennung von Einzelheiten und ohne Nennung von Namen.
Der Bezirksführer von Bruchsal kam zu „einer dreieinhalbstündigen hitzigen Sitzung" nach Oberhausen, die schließlich zu einer Verständigung aller Beteiligten führte, „um den Bestand der Fidelia nicht aufs Spiel zu setzen", wie es im Protokollbuch heißt. Die große Politik warf ihre Schatten bis hinein ins Leben der Vereine, denn die Gesangvereine galten „als erste Kulturträger im neuen Staat".
Aber nach wie vor veranstalteten die Fidelianer ihre Weihnachtsfeiern, sangen bei den Primizen der Neupriester Baumann und Zieger, verschönten mit ihrem Gesang die kirchlichen Feiern und ließen Messen für ihre verstorbenen Sängerkameraden lesen. Trotz der schweren Zeit ging das familiäre Leben des Vereins mit den gewohnten Veranstaltungen weiter. Im Februar 1935 musste der damalige Dirigent, Gewerbefortbildungslehrer Gilliar, seine Tätigkeit bei der Fidelia aufgeben „durch die starke Inanspruchnahme seiner Person von Seiten seines Berufes und dem heutigen politischen Staatsregime", so berichtet der Chronist. Nachfolger wurde der spätere Rektor Dieringer, „der ja schon öfters aushilfsweise bei der Fidelia wirkte". Herr Dieringer erklärte sich bereit, die Chorleitung ehrenamtlich zu übernehmen.
Beim zehnjährigen Stiftungsfest des „MGV Sängerbund Oberhausen" trat die Fidelia mit 78 Sängern auf und stiftete dem Bruderverein eine Fahnenschleife. Die alten Gegensätze begannen sich zu verwischen.
Verstärkter politischer Druck
Das Jahr 1936 brachte verstärkten politischen Druck von oben: Der Verein wird verpflichtet, an dem Gauwertungssingen in Bruchsal teilzunehmen, ihm wird befohlen, bei politischen Kundgebungen aufzutreten und am Maisingen teilzunehmen. Von nun an blieb ein Teil der aktiven Sänger den Veranstaltungen des Vereins fern.
Die Teilnahme am Maisingen und am Maiumzug sah dann folgendermaßen aus: Am Morgen um 6 Uhr war Volksliedersingen in den Straßen, um die Einwohnerschaft zu wecken. Für den Festzug hatte jeder Verein einen Festwagen zu stellen. Als Sänger wählten die Fidelianer die Darstellung der „Loreley", des bekannten Volksliedes von Heinrich Heine, dessen Schriften von den damaligen Machthabern verboten waren. Aber auf dem geschmückten Festwagen war das Motto zu lesen: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten". — Der Chronist weiß zu berichten, dass die Fidelia für ihre gelungene Darstellung eine Plakette überreicht bekam. Der Schlußsatz des Protokolls lautet: „Und so verlief der Tag auch in unserer Gemeinde im Geiste wirklicher Volksgemeinschaft".
Krisenzeit im Verein und ihre Überwindung
Einige Monate später stellt Vereinsführer Gustav Machauer sein Amt zur Verfügung, ebenso Dirigent Dieringer. Der Gaupräsident vom Sängergau Bruchsal tritt auf den Plan und setzt den Ehrenvorsitzenden Jakob Heim als kommissarischen Vereinsführer ein. Zum Chorleiter wird ein Dirigent aus Karlsruhe bestimmt. In den kommenden Monaten macht die Fidelia eine schwere Krise durch, an ein geregeltes Vereinsleben war kaum noch zu denken.
Nach langem Hin und Her konnte Johann Rothardt die Führung der Fidelia übernehmen; ihm fiel die Aufgabe zu, das 40jährige Stiftungsfest des Vereins mit Fahnenweihe vorzubereiten. Es gelingt ihm, den alten Sängergeist zu aktivieren. Und die Fidelianer feiern im Juli '38 ihr letztes großes Fest vor dem unseligen Zweiten Weltkrieg: mit Festbankett, mit Gedenkgottesdienst und Fahnenweihe, mit Festzug und Konzert. Schriftführer Karl Alt konnte berichten: „Der Verlauf des Festes war friedlich, ohne jeden Zwischenfall."
Im Schatten des 2. Weltkrieges
Die Generalversammlung im Januar 1939 brachte eine Veränderung in der Vereinsspitze. Josef Baldauf wurde Vereinsführer und Walter Rolli sein Stellvertreter. Die neue Verwaltung bemühte sich, das Vereinsleben wieder in Gang zu bringen: mit einem Familienabend im Februar, mit einem Frühjahrskonzert an Ostern und mit der Teilnahme am Freundschaftssingen des MGV „Liederkranz Kirrlach" im Mai.
Aber alle Veranstaltungen waren schon überschattet von den weltpolitischen Ereignissen, die unweigerlich zum Krieg führen mussten. Die letzte Eintragung für viele Jahre schildert den Familienausflug vom 12. August 1939 in die Pfalz, der für viele Sänger das letzte frohe Beisammensein im Kreise der Kameraden sein sollte.